Sucker - die heimlichen Lachse in Manitoba

Canada-Rosi

New Member
Den ersten harten langen Winter mit Tagen von -45 Grad Celsius hatten wir als Neulinge in Canada bestanden. Die Canadier sagen, dass es seit 15 Jahren der strengste Winter war. Es gab Tage, da froren uns die Finger regelrecht an der Haustuerklinke fest, ohne Handschuhe ging da nichts. Wir mussten raus, konnten uns nicht im warmen Haus verstecken; denn wir haben vier Hunde die ihren Auslauf brauchten. Die Kaelte, so bekamen wir den Eindruck, machte uns weniger zu schaffen, als den Canadiern, vielleicht weil es unser erster Winter in Canada war.

Dennoch freuten wir uns als der Schnee Ende April zu schmelzen begann. Die Erde hatte Muehe das viele Tauwasser aufzunehmen. Ueberall bildeten sich kleine Tuempel, die zum Glueck die lachende Sonne bald austrocknete.

Eines Morgens fuhr ich wie immer einmal in der Woche in das zwanzig Minuten entfernte Dorf zum einkaufen und auch um die Post abzuholen, da es hier keine Brieftraeger gibt.

Die kleine Stadt hat alles was man zum Leben braucht, ein Postamt, eine Apotheke, drei Lebensmittel-Geschaefte im Tante-Emma-Laden-Stil, ein Elektrogeschaeft, ein Baumarkt, zwei Tankstellen, ein Versicherungsbuero und sogar einen Steuerberater fuer die umliegenden Farmer und Rancher.

Ich kaufte ein paar Naegel im Baumarkt. Der Verkaeufer begruesste mich mit „hi guy, how are you und es folgte ein gemuetliches Gespraech. Er frage mich, ob wir schon in den Ditchen waren, erzaehlte von Sucker und sie schmecken sehr gut.

Die deutsche innere Unruhe kann ich noch nicht so richtig abstreifen, ist einfach angeboren, ich schaute auf die Uhr, see you und als Naechstes ging’s zum Postamt um einen Brief fuer Deutschland aufzugeben und auch gleich unsere Eingangspost mitzunehmen.

Im Postoffice arbeitet eine sehr nette aeltere Dame. Sie frankierte mir meinen Brief und wieder folgte ein gemuetliches Gespraech. Sie fragte so nebenbei wie es so geht und erzaehlte mir, sie sei auch Standesbeamtin und mache ueberall Trauungen wo es die Leute wollen, also auf dem Boot, auf dem Hochsitz, egal. Dann erzaehlte sie mir ebenfalls von Sucker, Ditchen.

Der Weg fuehrte mich vom Postamt direkt in den Lebensmittelladen, hmm der Paprika sah ja lecker aus, Bananen sind auch gut fuer die Knochen nur 59 Cent, Eier (muss Reiner daran erinnern, dass er ein paar Huehner halten wollte, frische Eier sind doch etwas feines), Toastbrot und suuper - sie hatten Europaeische Wiener. Kaum drinnen im Laden, schon draussen im Auto, dachte ich, zack, zack … und jetzt noch an die Kasse, ah, die laechelnde Verkaeuferin, eine First Nation-Dame, wieder die sehr nette Freundlichkeit: how are you? nice to see you? nice shoes. Ich, danke schoen, too, meine Moonboots sind aus Deutschland. Sie packte das Eingekaufte mit einer Seelenruhe in Tueten ein und da hoerte ich es wieder: Ditchen, Sucker, fine meal.

Sie half mir noch die Tueten zum Auto zu tragen, ist ein schoener Service hier und dann see you later. Later? Wollte heute doch nicht mehr einkaufen, obwohl ich doch die persoenlichen Gespraeche geniese. Ich kann dann sehr viel fragen und die Leutchen, dass kann ich immer wieder feststellen, sind hier alle sehr hilfsbereit. Ich hatte es nun doch sehr eilig nach Hause zu kommen um im Internet nachzuschauen was sind Sucker, was heisst Ditchen.

Kaum zu Hause, die Tueten waren noch nicht ausgepackt, startete ich den PC. Ich war so neugierig. Sucker ist ein Fisch, ein essbarer Fisch, hat Aehnlichkeit mit den deutschen Barben und nimmt in der Laichzeit die Farbe des Lachses an. Ditchen sind kleine Graeben fand ich heraus.

Graeben? die gab es rechts und links am Highway genuegend, aber soll da ein Fisch drinne sein? Da ist doch nur Schmelzwasser vom Schnee, die trocknen im Sommer doch aus?

Also ab ins Auto und auf den Highway. Langsam fuhren wir den Ditchen entlang. Reiner stieg in die Bremsen, fast stupste ich mir die Nase an der Windschutzscheibe. Er riss die Autotuer auf, rannte Richtung Graben, zog sich im laufen die Schuhe und Socken aus und schon stand er knietief im Wasser.

Ich sass da, total erstaunt, mein Mund gleichte dem eines Karpfens. Der Anblick von Reiner mit aufgekrempelter Jeans im Wasser, er bueckte sich, beide Arme ins Wasser und schwups warf einen Fisch ins Gras. Er lief, bueckte sich, Arme ins Wasser, Fische im laufenden fort - hier bekam das Wort Petrijuenger fuer mich einen Sinn. Inzwischen fuhren auf dem Highway die Autos langsam an uns vorbei, die Fahrer hupten, winkten und lachten.

Es war nicht zu glauben, was hier passierte. Er rief: „komm steig aus, mach mit, ist ja ein Wahnsinn, die Fische schwaermen ja regelrecht um meine Beine, so etwas habe ich noch nie erlebt“.

„Was willst mit den vielen Fischen, wir essen doch gar keinen Fisch“, rief ich ihm zu. Seine Stirn zeigte kurz Denkerfalten und dann kam der gewisse Aha-Effekt, „wir schenken sie der Postlerin, dem Baumarktverkaeufer und der Tante-Emma-Laden-Dame“. Ich rief „die haben doch sicher selbst genug“ - wieder Denkerfalten. „Gut, dann setzten wir sie wieder in die Ditch zurueck, es hat mir einfach nur Spass gemacht“ sagte er.

Wir fuhren, um uns das Erlebte bestaetigen zu lassen, nochmals ins Dorf zum Tante-Emma-Laden. Die First-Nation-Dame erzaehlte uns ganz stolz, dass hier in Manitoba der Sucker in Tomatensosse eingelegt wird und so erhaelt sein Fleisch die roetliche Farbe des Lachses. Sucker ist der heimliche Lachs in Manitoba sagte sie und ein Laecheln strahlte ueber ihr Gesicht.

Die Sucker blieben fuer kurze Zeit, ca. drei Wochen in den Ditchen, nicht nur die Sucker sondern auch Hechte, Zander, Karpfen kommen zum ablaichen, was wir spaeter auch beobachten konnten und sie finden dann ihren Weg zurueck in den Manitoba-Lake.



Wie wir erfahren konnten, ist das „ditchen“ ein Volkssport.

Der April bzw. Mai 2006 kommt, die Fische zum ablaichen auch und dann reichen wir die Bilder oder bis dahin einen Videostream nach. Anglerehrenwort.
 

Pilkman

Active Member
AW: Sucker - die heimlichen Lachse in Manitoba

Hallo,

hat einfach nur Spaß gemacht, Deinen Bericht aus Canada zu lesen! Vielen Dank dafür!!! #6

Ist doch immer wieder schön zu hören, wie es fischmäßig und menschlich in den anderen Ecken der Erde abläuft. #h
 

Timmy

Active Member
AW: Sucker - die heimlichen Lachse in Manitoba

Schöner Bericht, der mich für kurze Zeit nach Kanada "beamte". Dankeschön.|wavey:
 

rob

gone fishing
AW: Sucker - die heimlichen Lachse in Manitoba

super bericht rosi!
vieln dank dafür!hab mir das erlebte so richtig bildlich vorstellen können:m
lg aus wien
rob
 

Ossipeter

Active Member
AW: Sucker - die heimlichen Lachse in Manitoba

Herzlichen Dank Rosi,
war wunderschön anhand deines Berichtes miterleben zu dürfen was ditchen ist: Köstlich! Mach weiter so mit deinen Erlebnisberichten aus Manitoba!
 

Hummer

ein Angler
AW: Sucker - die heimlichen Lachse in Manitoba

Auch der zweite Bericht aus Kanada ist ein Genuss zum Lesen! :m

Petri

Hummer
 

Canada-Rosi

New Member
AW: Sucker - die heimlichen Lachse in Manitoba

Hallo Miteinander,
freue mich riesig, dass Euch auch mein zweites Berichtchen gefallen hat, habe eine neue Leidenschaft, Berichte im AB, Achtung kommen noch mehr.
Gruss aus Manitoba
Rosi
 

Ghanja

Voodoo Houngan
AW: Sucker - die heimlichen Lachse in Manitoba

Habe ich doch glatt was Neues erfahren. Mir war zwar bekannt, dass man sie räuchern kann aber persönlich haben wir sie immer nur als Hechtköder genommen. |supergri
 
Oben