Bald werden die Dorschquoten für die Ostsee festgelegt. Es droht eine Verschärfung des Bag Limits. Ist das gerechtfertigt? Mit Dr. Christopher Zimmermann, Leiter des Instituts für Ostseefischerei und deutscher Vertreter im ICES, habe ich letzte Woche gesprochen. Das Interview wurde per Email und Telefon geführt.
Dr. Christopher Zimmermann ist Leiter des Thünen Instituts für Ostseefischerei und beschäftigt sich seit Jahren mit der Bestandentwicklung des Dorsches (Bild: Thünen/Daniel Stepputtis)
Georg (GB): Hand aufs Herz: Wie geht’s dem Ostseedorsch? Können wir in ein paar Jahren noch guten Gewissens auf Dorsche angeln?
Christopher Zimmermann (CZ): So pauschal lässt sich das nicht beantworten. Es gibt in der Ostsee nämlich zwei Dorschbestände, den westlichen und den östlichen. Dem östlichen geht es nach den aktuellen Erkenntnissen wirklich miserabel. Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) hat empfohlen, ihn im nächsten Jahr nicht mehr zu nutzen, also die Fischerei komplett zu schließen. Nach den Vorhersagen spielen allerdings die Umweltbedingungen die wesentliche Rolle, und wenn die sich nicht verbessern, wird sich der Bestand auch ohne Fischerei in den nächsten Jahren nicht erholen. Es wird also darum gehen, dem Bestand keinen weiteren Schaden zuzufügen und dennoch möglichst viel Fischerei auf andere Arten zuzulassen - denn auch in den anderen Fischereien gibt es gelegentlich Beifänge von Ostdorsch. Fische aus diesem Bestand kann man also eigentlich nicht mehr guten Gewissens entnehmen.
Dem westlichen Dorsch, wesentliches Ziel der deutschen Angelfischerei von der Ostseeküste, geht es deutlich besser. Der Bestand war 2015/16 hauptsächlich aufgrund jahrelanger Überfischung kollabiert, was zu einer drastischen Quotensenkung für die Berufsfischerei und zu einer Beteiligung der Freizeitfischerei an der Erholung führte (Bag Limit). 2016 produzierte der Bestand einen starken Jahrgang, der dann zu der schnellen positiven Entwicklung führte. Das war einfach Glück, die gesenkte Quote konnte da noch nicht durchschlagen. Leider sind die folgenden Jahrgänge 2017 und 2018 sehr schwach ausgefallen, sodass der Bestand in den nächsten Jahren schnell wieder schrumpfen wird. Das ist für kollabierte Bestände typisch, sie zeigen oft über Jahre stark schwankende Reproduktionsraten. Hier warten wir nun auf einen stärkeren Jahrgang, bis dahin müssen die Fangmengen wieder reduziert werden. Die legalen Quoten kann man aber auch mit gutem Gewissen ausschöpfen, denn die sind nach 2016 auf wissenschaftlicher Grundlage und entsprechend der Bestandsentwicklung festgesetzt worden.
Ganz wichtig! Beim Ost- und Westdorsch handelt es sich um unterschiedliche Bestände. Sie vermischen sich recht wenig und laichen zu unterschiedlichen Zeiten. (Grafik: Thünen/Dr. Zimmermann)
GB: Derzeit werden Angler von der Initiative „Anglerdemo“ aufgefordert, ihren untermaßigen Fang an Ostseedorschen zu dokumentieren, um so zu zeigen, dass die Jahrgänge 2017/18 doch nicht so schwach sind. Ist das sinnvoll?
CZ: Nein, aus wissenschaftlicher Sicht ist es das nicht. Erstens zeigt der 2016er Jahrgang ein breites Spektrum an Fischlängen auf. Wenn Sie also jetzt einen 30 Zentimeter langen Dorsch fangen, kann der durchaus noch aus 2016 stammen. Zweitens bringen Punktbetrachtungen wenig. Wenn ein Angler an einem Tag mal zehn untermaßige Dorsche fängt, sagt das wissenschaftlich nichts aus. Wir müssten wissen, was er in den zehn Jahren zuvor an der gleichen Stelle, zur gleichen Zeit mit der gleichen Methode gefangen hat. So könnte man dann Tendenzen erkennen.
Nach den Daten der internationalen Forschungsreisen, die wir seit vielen Jahrzehnten immer mit den gleichen Geräten in der ganzen westlichen Ostsee zweimal im Jahr durchführen, ist die absolute Anzahl des Nachwuchses aus 2017 und 2018 sehr gering. Die Unsicherheiten der Bestimmung der Jahrgangsstärke sind am Anfang immer groß, aber alle Indikatoren zeigen einheitlich, dass beide Jahrgänge sehr schwach sind. Dies bedeutet, dass der Bestand ab nächstem Jahr wieder schnell abnimmt, nicht dass er jetzt klein wäre, und hier sollte das Fischereimanagement gegensteuern.
Die Fischgröße sagt nur begrenzt etwas über das Alter der Dorsche aus. Klar aber ist, dass große Fische deutlich produktiver sind, wie ein Vergleich der Eierstöcke (Gonaden) im unteren Bild zeigt (Bild Thünen/Martina Bleil)
Der Vergleich zeigt: Die Entwicklung der Gonaden verläuft exponential zu Größe der Dorsche (Bild Thünen/Martina Bleil)
GB: Heißt das, dass Sie eine Reduzierung des Bag Limits für Angler befürworten?
CZ: Nein, aus unserer Sicht kann das Bag Limit für Angler bei den sieben Dorschen pro Tag bleiben. Wir haben schon letztes Jahr empfohlen, dass die Anglerquote an die der Berufsfischer gekoppelt wird. Das ist nicht geschehen, das Bag Limit ist weniger erhöht worden als die Quote. Vor dem Hintergrund finden wir, dass für Angler keine Änderung notwendig ist. Die Fänge werden aufgrund der schwachen Jahrgänge sowieso wieder schrumpfen. Allerdings gibt es aus unserer Sicht keinen Spielraum zur Erhöhung des Limits, wie dies teilweise gefordert wird.
GB: Laut einem Bericht in der Ostseezeitung nannte Ihr Stellvertreter Dr. Krumme den Fangstopp für die Berufsfischer ein „Bauernopfer“. Was meint er damit?
CZ: Der Dorsch-Fangstopp in der Arkona- und Bornholmsee soll dazu dienen, den Ostdorschbestand nicht weiter schrumpfen zu lassen. Abgesehen davon, dass die Vorschriften des Plans technisch nicht gut gemacht sind und die Maßnahme deshalb wahrscheinlich keinerlei positive Auswirkung auf den Bestand hat, löst sie das Problem nicht: Wahrscheinlich geht es dem Ostdorsch so schlecht, weil in den tiefen Becken der Ostsee Sauerstoffmangel herrscht. Dieser wird maßgeblich verursacht durch zu hohe Nährstoffeinleitungen, vor allem aus der Landwirtschaft. „Bauernopfer“ meint also zweideutig, dass die Fischer einerseits unter der öffentlichkeitswirksamen Sofortmaßnahme leiden, obwohl die nichts bringen wird. Andererseits, dass die Fischer die Folgen der zu geringen Einschränkungen bei der Ausbringung von Dünger in der Landwirtschaft zu tragen haben.
GB: Können Sie sagen, was ein sofortiger, kompletter Fangstopp für den Dorschbestand für Auswirkungen hätte? Ließe sich damit die Masse der Laichdorsche schnell erhöhen?
CZ: Der ICES hat berechnet, dass bei einem vollständigen Fangstopp für Ostdorsch ab 1. Juli 2019 zu Beginn des Jahres 2020 ungefähr vier Prozent mehr Laicherbiomasse vorhanden wäre als wenn die Fischerei unvermindert fortgesetzt würde. Das wäre schon mal ein Anfang, aber dafür hätte es wirklich einen kompletten Fangstopp geben müssen. Die jetzige Regelung enthält soviel Ausnahmen, dass am Ende kein Dorsch weniger gefangen wird. Aber wie bereits gesagt, lässt sich die Masse der Laichdorsche bei den derzeitigen Umweltbedingungen gar nicht schnell erhöhen. Es geht nur darum, die Ostdorschfänge so weit wie möglich zu reduzieren. Dabei sollte man aber nicht auf die rund eine halbe Million Tonnen jährlichen Ertrag anderer Fische aus der östlichen Ostsee verzichten.
Beim Westdorsch würde ein kompletter Fangstopp ab 2020 wahrscheinlich zu einem schnellen Anwachsen des Bestandes führen. Denn hier ist die Ursache für den Kollaps in 2015 die jahrelange Überfischung. Eine so drastische Maßnahme erscheint dem ICES aber nicht notwendig, weil der Bestand in besserem Zustand ist als der Ostdorsch.
Auf den internationalen Forschungsfahrten führen die Wissenschaftler Probebefischungen durch und ermitteln so die Bestandsgröße. Die Ergebnisse sind umstritten
GB: Während im letzten Jahr die Entwicklung beim Dorsch noch als „erfreulich“ bezeichnet und die Quoten angehoben wurden, kommt dieses Jahr diese Hiobsbotschaft. Können Sie nachvollziehen, dass vor diesem Hintergrund viele Angler den Aussagen der ICES und der Forschung insgesamt nicht trauen?
CZ: Auch hier müssen wir die beiden Dorschbestände unterscheiden: Die Entwicklung beim Ostdorsch ist schon seit mehreren Jahren beunruhigend und die Wissenschaft hat immer wieder stärkere Einschränkungen der Fangmengen empfohlen (für 2019 zum Beispiel um 59 Prozent, reduziert wurde aber nur um 15!). Der schlechte Zustand kommt also keineswegs unerwartet - überraschend ist lediglich, dass die Umweltbedingungen inzwischen einen viel größeren Einfluss auf den Bestandszustand als die Fischerei haben.
Beim Westdorsch hat der starke 2016er Jahrgang für eine sehr positive Perspektive gesorgt. Die ist ja auch fast eingetreten, der Bestand hat den grünen Bereich 2019 nur knapp verfehlt. Dass beide folgenden Jahrgänge wieder sehr schwach würden, war nicht vorhersagbar. Wir rechnen für die Vorhersagen immer mit Mittelwerten einer längeren Zeitreihe, wie das in der Wissenschaft üblich ist. Bei einem Bestand, der sich grade von einem Kollaps erholt, sind starke Schwankungen der Jahrgangsstärke nicht ungewöhnlich, sie führen dann aber auch zu starken Schwankungen der befischbaren Biomasse. Es dauert Jahre, bis die Altersstruktur wieder so ausgeglichen ist, dass sich die Biomasse stabilisiert und schlechte Jahre „wegpuffert". Fischereibiologie ist eine Wissenschaft mit großen Unsicherheiten, weil das Meer riesig und undurchsichtig ist, und die Annahmen für die Berechnung der Vorhersage fügen weitere Unsicherheiten hinzu. Dennoch sind dies die besten Erkenntnisse, die wir der Politik und den Nutzern der Ressource Fisch liefern können. An den Ergebnissen zweifeln, ohne bessere Erkenntnisse zu haben, ist daher ziemlich sinnlos und bringt den Dorsch nicht zurück in den grünen Bereich.
GB: Welche Maßnahmen wären Ihrer Ansicht nach notwendig, um den Bestand des Ostseedorsches zu sichern?
Beim Ostdorsch können wir nur auf bessere Umweltbedingungen warten und alles versuchen, um die Fänge aus diesem Bestand so niedrig wie möglich zu halten, ohne jedoch alle anderen Fischereien mit anderen Zielarten einstellen zu müssen. Dafür gibt es technische Lösungen: Netze, die über 80% der Dorschbeifänge reduzieren, aber die müssen dann auch eingesetzt werden. Eine Reduzierung der Nährstoffeinleitungen dürfte positive Effekte haben, aber nicht kurzfristig. Beim Westdorsch reicht wahrscheinlich eine Reduzierung der Quoten; die Nachwuchsproduktion könnte durch eine ausgedehnte und konsequent eingehaltene Laichschonzeit verbessert werden. Die noch vorhandenen alten Tiere könnte man schützen, indem man die Rollerfischerei auf den Steinfeldern untersagt - wir können aber noch nicht quantifizieren, welchen Einfluss diese Maßnahmen haben würden.
So werden die Quoten festgelegt
Ende des Jahres – meist auf der Oktobersitzung - bestimmen die Fischereiminister der EU-Mitgliedstaaten (Ministerrat) die Fangquoten für das folgende Jahr. Sie beschließen auch die Maßnahmen für die Freizeitfischerei (Angeln) und legen das Bag Limit für bestimmte Meeresgebiete (ICES Subdivisionen) fest. In Deutschland ist das BMEL das zuständige Ministerium. Grundlage der Ratsentscheidung sind die Empfehlungen der Kommission, der Mitgliedstaaten sowie des „International Council for the Exploration of the Sea“ (ICES). Dies ist eine internationale Organisation mit 20 Mitgliedstaaten, die die Fischbestände wissenschaftlich überwacht.
Kritik an der Methodik der wissenschaftlichen Bestandserhebungen kommt unter anderem vom Deutschen Fischereiverband. „Die Bestandsbewertungen des ICES stehen nicht in jedem Fall im Einklang mit den Beobachtungen, welche die Fischer täglich auf See machen.“, heißt es in einer Meldung des Verbands.
Ende Juli erließ die Europäische Kommission außerplanmäßig einen sofortigen Fangstopp für die Berufsfischerei für die östliche Ostsee. Zu solchen Sofortmaßnahmen hat die Kommission „in hinreichend begründeten Fällen äußerster Dringlichkeit im Zusammenhang mit einer ernsthaften Bedrohung der Erhaltung biologischer Meeresressourcen“ das Recht. Ganz wichtig: Angler sind in diesem Fall nicht betroffen, die Sofortmaßnahme gilt bis Ende des Jahres.
Dr. Christopher Zimmermann ist Leiter des Thünen Instituts für Ostseefischerei und beschäftigt sich seit Jahren mit der Bestandentwicklung des Dorsches (Bild: Thünen/Daniel Stepputtis)
Georg (GB): Hand aufs Herz: Wie geht’s dem Ostseedorsch? Können wir in ein paar Jahren noch guten Gewissens auf Dorsche angeln?
Christopher Zimmermann (CZ): So pauschal lässt sich das nicht beantworten. Es gibt in der Ostsee nämlich zwei Dorschbestände, den westlichen und den östlichen. Dem östlichen geht es nach den aktuellen Erkenntnissen wirklich miserabel. Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) hat empfohlen, ihn im nächsten Jahr nicht mehr zu nutzen, also die Fischerei komplett zu schließen. Nach den Vorhersagen spielen allerdings die Umweltbedingungen die wesentliche Rolle, und wenn die sich nicht verbessern, wird sich der Bestand auch ohne Fischerei in den nächsten Jahren nicht erholen. Es wird also darum gehen, dem Bestand keinen weiteren Schaden zuzufügen und dennoch möglichst viel Fischerei auf andere Arten zuzulassen - denn auch in den anderen Fischereien gibt es gelegentlich Beifänge von Ostdorsch. Fische aus diesem Bestand kann man also eigentlich nicht mehr guten Gewissens entnehmen.
Dem westlichen Dorsch, wesentliches Ziel der deutschen Angelfischerei von der Ostseeküste, geht es deutlich besser. Der Bestand war 2015/16 hauptsächlich aufgrund jahrelanger Überfischung kollabiert, was zu einer drastischen Quotensenkung für die Berufsfischerei und zu einer Beteiligung der Freizeitfischerei an der Erholung führte (Bag Limit). 2016 produzierte der Bestand einen starken Jahrgang, der dann zu der schnellen positiven Entwicklung führte. Das war einfach Glück, die gesenkte Quote konnte da noch nicht durchschlagen. Leider sind die folgenden Jahrgänge 2017 und 2018 sehr schwach ausgefallen, sodass der Bestand in den nächsten Jahren schnell wieder schrumpfen wird. Das ist für kollabierte Bestände typisch, sie zeigen oft über Jahre stark schwankende Reproduktionsraten. Hier warten wir nun auf einen stärkeren Jahrgang, bis dahin müssen die Fangmengen wieder reduziert werden. Die legalen Quoten kann man aber auch mit gutem Gewissen ausschöpfen, denn die sind nach 2016 auf wissenschaftlicher Grundlage und entsprechend der Bestandsentwicklung festgesetzt worden.
Ganz wichtig! Beim Ost- und Westdorsch handelt es sich um unterschiedliche Bestände. Sie vermischen sich recht wenig und laichen zu unterschiedlichen Zeiten. (Grafik: Thünen/Dr. Zimmermann)
GB: Derzeit werden Angler von der Initiative „Anglerdemo“ aufgefordert, ihren untermaßigen Fang an Ostseedorschen zu dokumentieren, um so zu zeigen, dass die Jahrgänge 2017/18 doch nicht so schwach sind. Ist das sinnvoll?
CZ: Nein, aus wissenschaftlicher Sicht ist es das nicht. Erstens zeigt der 2016er Jahrgang ein breites Spektrum an Fischlängen auf. Wenn Sie also jetzt einen 30 Zentimeter langen Dorsch fangen, kann der durchaus noch aus 2016 stammen. Zweitens bringen Punktbetrachtungen wenig. Wenn ein Angler an einem Tag mal zehn untermaßige Dorsche fängt, sagt das wissenschaftlich nichts aus. Wir müssten wissen, was er in den zehn Jahren zuvor an der gleichen Stelle, zur gleichen Zeit mit der gleichen Methode gefangen hat. So könnte man dann Tendenzen erkennen.
Nach den Daten der internationalen Forschungsreisen, die wir seit vielen Jahrzehnten immer mit den gleichen Geräten in der ganzen westlichen Ostsee zweimal im Jahr durchführen, ist die absolute Anzahl des Nachwuchses aus 2017 und 2018 sehr gering. Die Unsicherheiten der Bestimmung der Jahrgangsstärke sind am Anfang immer groß, aber alle Indikatoren zeigen einheitlich, dass beide Jahrgänge sehr schwach sind. Dies bedeutet, dass der Bestand ab nächstem Jahr wieder schnell abnimmt, nicht dass er jetzt klein wäre, und hier sollte das Fischereimanagement gegensteuern.
Die Fischgröße sagt nur begrenzt etwas über das Alter der Dorsche aus. Klar aber ist, dass große Fische deutlich produktiver sind, wie ein Vergleich der Eierstöcke (Gonaden) im unteren Bild zeigt (Bild Thünen/Martina Bleil)
Der Vergleich zeigt: Die Entwicklung der Gonaden verläuft exponential zu Größe der Dorsche (Bild Thünen/Martina Bleil)
GB: Heißt das, dass Sie eine Reduzierung des Bag Limits für Angler befürworten?
CZ: Nein, aus unserer Sicht kann das Bag Limit für Angler bei den sieben Dorschen pro Tag bleiben. Wir haben schon letztes Jahr empfohlen, dass die Anglerquote an die der Berufsfischer gekoppelt wird. Das ist nicht geschehen, das Bag Limit ist weniger erhöht worden als die Quote. Vor dem Hintergrund finden wir, dass für Angler keine Änderung notwendig ist. Die Fänge werden aufgrund der schwachen Jahrgänge sowieso wieder schrumpfen. Allerdings gibt es aus unserer Sicht keinen Spielraum zur Erhöhung des Limits, wie dies teilweise gefordert wird.
GB: Laut einem Bericht in der Ostseezeitung nannte Ihr Stellvertreter Dr. Krumme den Fangstopp für die Berufsfischer ein „Bauernopfer“. Was meint er damit?
CZ: Der Dorsch-Fangstopp in der Arkona- und Bornholmsee soll dazu dienen, den Ostdorschbestand nicht weiter schrumpfen zu lassen. Abgesehen davon, dass die Vorschriften des Plans technisch nicht gut gemacht sind und die Maßnahme deshalb wahrscheinlich keinerlei positive Auswirkung auf den Bestand hat, löst sie das Problem nicht: Wahrscheinlich geht es dem Ostdorsch so schlecht, weil in den tiefen Becken der Ostsee Sauerstoffmangel herrscht. Dieser wird maßgeblich verursacht durch zu hohe Nährstoffeinleitungen, vor allem aus der Landwirtschaft. „Bauernopfer“ meint also zweideutig, dass die Fischer einerseits unter der öffentlichkeitswirksamen Sofortmaßnahme leiden, obwohl die nichts bringen wird. Andererseits, dass die Fischer die Folgen der zu geringen Einschränkungen bei der Ausbringung von Dünger in der Landwirtschaft zu tragen haben.
GB: Können Sie sagen, was ein sofortiger, kompletter Fangstopp für den Dorschbestand für Auswirkungen hätte? Ließe sich damit die Masse der Laichdorsche schnell erhöhen?
CZ: Der ICES hat berechnet, dass bei einem vollständigen Fangstopp für Ostdorsch ab 1. Juli 2019 zu Beginn des Jahres 2020 ungefähr vier Prozent mehr Laicherbiomasse vorhanden wäre als wenn die Fischerei unvermindert fortgesetzt würde. Das wäre schon mal ein Anfang, aber dafür hätte es wirklich einen kompletten Fangstopp geben müssen. Die jetzige Regelung enthält soviel Ausnahmen, dass am Ende kein Dorsch weniger gefangen wird. Aber wie bereits gesagt, lässt sich die Masse der Laichdorsche bei den derzeitigen Umweltbedingungen gar nicht schnell erhöhen. Es geht nur darum, die Ostdorschfänge so weit wie möglich zu reduzieren. Dabei sollte man aber nicht auf die rund eine halbe Million Tonnen jährlichen Ertrag anderer Fische aus der östlichen Ostsee verzichten.
Beim Westdorsch würde ein kompletter Fangstopp ab 2020 wahrscheinlich zu einem schnellen Anwachsen des Bestandes führen. Denn hier ist die Ursache für den Kollaps in 2015 die jahrelange Überfischung. Eine so drastische Maßnahme erscheint dem ICES aber nicht notwendig, weil der Bestand in besserem Zustand ist als der Ostdorsch.
Auf den internationalen Forschungsfahrten führen die Wissenschaftler Probebefischungen durch und ermitteln so die Bestandsgröße. Die Ergebnisse sind umstritten
GB: Während im letzten Jahr die Entwicklung beim Dorsch noch als „erfreulich“ bezeichnet und die Quoten angehoben wurden, kommt dieses Jahr diese Hiobsbotschaft. Können Sie nachvollziehen, dass vor diesem Hintergrund viele Angler den Aussagen der ICES und der Forschung insgesamt nicht trauen?
CZ: Auch hier müssen wir die beiden Dorschbestände unterscheiden: Die Entwicklung beim Ostdorsch ist schon seit mehreren Jahren beunruhigend und die Wissenschaft hat immer wieder stärkere Einschränkungen der Fangmengen empfohlen (für 2019 zum Beispiel um 59 Prozent, reduziert wurde aber nur um 15!). Der schlechte Zustand kommt also keineswegs unerwartet - überraschend ist lediglich, dass die Umweltbedingungen inzwischen einen viel größeren Einfluss auf den Bestandszustand als die Fischerei haben.
Beim Westdorsch hat der starke 2016er Jahrgang für eine sehr positive Perspektive gesorgt. Die ist ja auch fast eingetreten, der Bestand hat den grünen Bereich 2019 nur knapp verfehlt. Dass beide folgenden Jahrgänge wieder sehr schwach würden, war nicht vorhersagbar. Wir rechnen für die Vorhersagen immer mit Mittelwerten einer längeren Zeitreihe, wie das in der Wissenschaft üblich ist. Bei einem Bestand, der sich grade von einem Kollaps erholt, sind starke Schwankungen der Jahrgangsstärke nicht ungewöhnlich, sie führen dann aber auch zu starken Schwankungen der befischbaren Biomasse. Es dauert Jahre, bis die Altersstruktur wieder so ausgeglichen ist, dass sich die Biomasse stabilisiert und schlechte Jahre „wegpuffert". Fischereibiologie ist eine Wissenschaft mit großen Unsicherheiten, weil das Meer riesig und undurchsichtig ist, und die Annahmen für die Berechnung der Vorhersage fügen weitere Unsicherheiten hinzu. Dennoch sind dies die besten Erkenntnisse, die wir der Politik und den Nutzern der Ressource Fisch liefern können. An den Ergebnissen zweifeln, ohne bessere Erkenntnisse zu haben, ist daher ziemlich sinnlos und bringt den Dorsch nicht zurück in den grünen Bereich.
GB: Welche Maßnahmen wären Ihrer Ansicht nach notwendig, um den Bestand des Ostseedorsches zu sichern?
Beim Ostdorsch können wir nur auf bessere Umweltbedingungen warten und alles versuchen, um die Fänge aus diesem Bestand so niedrig wie möglich zu halten, ohne jedoch alle anderen Fischereien mit anderen Zielarten einstellen zu müssen. Dafür gibt es technische Lösungen: Netze, die über 80% der Dorschbeifänge reduzieren, aber die müssen dann auch eingesetzt werden. Eine Reduzierung der Nährstoffeinleitungen dürfte positive Effekte haben, aber nicht kurzfristig. Beim Westdorsch reicht wahrscheinlich eine Reduzierung der Quoten; die Nachwuchsproduktion könnte durch eine ausgedehnte und konsequent eingehaltene Laichschonzeit verbessert werden. Die noch vorhandenen alten Tiere könnte man schützen, indem man die Rollerfischerei auf den Steinfeldern untersagt - wir können aber noch nicht quantifizieren, welchen Einfluss diese Maßnahmen haben würden.
So werden die Quoten festgelegt
Ende des Jahres – meist auf der Oktobersitzung - bestimmen die Fischereiminister der EU-Mitgliedstaaten (Ministerrat) die Fangquoten für das folgende Jahr. Sie beschließen auch die Maßnahmen für die Freizeitfischerei (Angeln) und legen das Bag Limit für bestimmte Meeresgebiete (ICES Subdivisionen) fest. In Deutschland ist das BMEL das zuständige Ministerium. Grundlage der Ratsentscheidung sind die Empfehlungen der Kommission, der Mitgliedstaaten sowie des „International Council for the Exploration of the Sea“ (ICES). Dies ist eine internationale Organisation mit 20 Mitgliedstaaten, die die Fischbestände wissenschaftlich überwacht.
Kritik an der Methodik der wissenschaftlichen Bestandserhebungen kommt unter anderem vom Deutschen Fischereiverband. „Die Bestandsbewertungen des ICES stehen nicht in jedem Fall im Einklang mit den Beobachtungen, welche die Fischer täglich auf See machen.“, heißt es in einer Meldung des Verbands.
Ende Juli erließ die Europäische Kommission außerplanmäßig einen sofortigen Fangstopp für die Berufsfischerei für die östliche Ostsee. Zu solchen Sofortmaßnahmen hat die Kommission „in hinreichend begründeten Fällen äußerster Dringlichkeit im Zusammenhang mit einer ernsthaften Bedrohung der Erhaltung biologischer Meeresressourcen“ das Recht. Ganz wichtig: Angler sind in diesem Fall nicht betroffen, die Sofortmaßnahme gilt bis Ende des Jahres.